Wissenschaft im Netz der Desinformation: Die Rolle von digitalen Medien und KI

Wissenschaft ist zunehmend Anfeindung in Form von strategischer Infragestellung und organisierten Delegitimierungsversuchen ausgesetzt – etwa im Kontext von Klimaforschung, Pandemiebewältigung oder Geschlechterfragen. Dabei gerät nicht nur wissenschaftliche Erkenntnis selbst, sondern die Idee von Wissenschaft als vertrauenswürdiger Zugang zur Wirklichkeit unter Druck.
Der Vortrag widmet sich einer spezifischen Form organisierter Wissenschaftsfeindlichkeit, die ich als strategische Konstruktion epistemischer Unwirklichkeit bezeichne. Darunter verstehe ich die gezielte Erzeugung und Verbreitung von Desinformation, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse bezieht, mit dem Ziel, deren Geltung, Autorität oder Relevanz zu unterminieren.
Im Zentrum stehen dabei digitale Medien als Verbreitungskanal – sowohl für fragmentierte, emotional aufgeladene Mikro-Desinformation als auch für komplexe, ideologisch aufgeladene Desinformationsnarrative. Dabei werden Unterschiede in Motivlagen und Strategien herausgearbeitet und anhand des Falls der aktuellen Klimawandelleugnung exemplarisch vertieft.
Besonderes Augenmerk gilt der Rolle Künstlicher Intelligenz, die als technologischer Verstärker Desinformation effizienter, skalierbarer und emotional anschlussfähiger machen kann – etwa durch automatisierte Inhaltserstellung, Deepfakes und anderweitige Fakes, Bot-Netzwerke sowie gezielte Instrumentalisierung von KI-Modellen.
Abschließend werden die potenziellen Auswirkungen solcher epistemischen Angriffe auf affektive Polarisierungsprozesse und auf die gesellschaftliche Fähigkeit zur gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktion diskutiert.
Dr. Murat Karaboga ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet seit 2014 in der Abteilung Neue Technologien am Fraunhofer ISI und promovierte zur Entstehung der DSGVO. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur Folgenabschätzung neuer Technologien. Er erstellte eine Studie zu rechtlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Stimm-, Sprach- und Gesichtserkennung, im Auftrag des STOA-Komitees des EU-Parlaments (STOA) war er Mitautor der vielbeachteten Studie “Tackling Deepfakes in European Policy” und erstellte zuletzt im Auftrag von TA-SWISS eine Studie zu den gesellschaftlichen Folgen von Deepfakes.