Florian Wiethof

Brücke von Realität zur Simulation – “Werwolf” als Modell für Desinformation und menschliche Kognition

Wie lässt sich das Zusammenspiel von Täuschung, Vertrauen und kollektiver Entscheidungsfindung wissenschaftlich untersuchen? In unserem Projekt nutzen wir das Gesellschaftsspiel Werwolf, um Prozesse der Desinformation in einem klar strukturierten, aber sozial reichen Rahmen zu erfassen. Zunächst beobachten wir menschliche Spieler:innen: Welche Strategien wählen sie, wie gehen sie mit Unsicherheit um, und welche kognitiven Muster lassen sich dabei erkennen? Diese Daten bilden die Grundlage für ein mathematisches Modell, das zentrale Aspekte menschlicher Kognition in reduzierter Form abbildet.
Das Ziel ist es, das Modell so zu parametrieren, dass ein Computer im Spiel ähnliche Entscheidungen trifft wie ein Mensch – nicht als Gegen- oder Mitspieler, sondern als algorithmische Reproduktion beobachteter Verhaltensweisen. Auf diese Weise entsteht ein Brückenschlag zwischen empirischer Beobachtung und theoretischer Simulation.
Philosophisch eröffnet dies Fragen nach den Grenzen der Modellierung: Wie viel des „Menschlichen“ geht in die formale Struktur ein, und was entzieht sich der Parametrierung? Psychologisch wiederum erlaubt der Ansatz, Dynamiken von Misstrauen, Fehlschlüssen und kollektiver Rationalität in einem kontrollierten Experimentierraum sichtbar zu machen. Werwolf wird so zu einem methodischen Labor, in dem Simulation und Realität produktiv ineinandergreifen.

Ich habe einen Masterabschluss in Maschinenbau mit Schwerpunkt Regelungstechnik und promoviere derzeit am Max-Planck-Institut für Astrophysik zur Modellierung und Simulation sozialer Dynamiken. Neben meiner Forschung bin ich als Dozent für Computational Sociology und Game Design tätig und eng im Münchner Startup-Umfeld vernetzt. Ergänzend unterrichte ich Mathematik und Physik an Gymnasien, wobei ich Erkenntnisse aus Modellierung, Simulation und spielbasierten Methoden in die schulische Vermittlung naturwissenschaftlicher Inhalte einbringe.